Dr. Burkhard Fassbach

Rechtsanwalt

Dr. jur. Burkhard Fassbach ist seit 1998 als Rechtsanwalt zugelassen. Als Anwalt in eigener Praxis in Frankfurt am Main verfügt er über eine langjährige Erfahrung in den Bereichen Corporate Compliance, Whistleblowing Systeme, Interne Untersuchungen, Organhaftung und D&O-Versicherung. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg, Frankfurt am Main und Mainz und dem juristischen Referendariat im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat er im US-amerikanischen Reorganisationsrecht am Lehrstuhl von Prof. Dr. Manfred Wolf, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, promoviert.


Die Aufsichtsrats-D&O-Versicherung als Schutzschirm gegen Compliance Risiken

Pflichtvergessene Organwalter haften bereits bei leichter Fahrlässigkeit unbegrenzt mit ihrem Privatvermögen. Treiber der Organhaftung ist immer noch die ARAG Doktrin des Bundesgerichtshofs (BGH, 21.04.1997 – II ZR 175/95 – ARAG/ Garmenbeck). Auf dieser Linie hat das OLG Hamm im Arcandor Fall mit Urteil vom 6. April 2022 entschieden, dass Aufsichtsratsmitglieder haften, wenn sie realisierbare Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder verjähren lassen. Zu den Amtspflichten des Aufsichtsrats gehört die Überwachung des Vorstands und ggf. die Verfolgung von Pflichtverstößen einschließlich der Geltendmachung entsprechender Schadensersatzansprüche. Als Leitentscheidung für die Compliance-Verantwortung des Vorstands gilt das Siemens/Neubürger-Urteil des LG München I. Die Pflichtverletzung von Neubürger wurde darin gesehen, dass er es unterlassen hatte, für eine hinreichend effektive Compliance-Organisation zu sorgen. Neben mangelhaften Compliance Systemen spielen zunehmend auch interne Untersuchungen zur Aufklärung von Rechtsverstößen eine große Rolle. Zu effektiven Compliance-Maßnahmen gehört auch die folgerichtige Durchsetzung. Es gilt die Pflichtentrias Aufklärung, Abstellung, Ahndung.

Der Aufsichtsrat benötigt einen eigenen D&O-Schutzschirm. Damit wird eine erhebliche Verbesserung der Rechtsposition sowohl der Vorstands- als auch der Aufsichtsratsmitglieder erreicht. Aufsichtsräte werden vielfach erst nach den Vorständen zur Rechenschaft gezogen, meistens mit der Begründung, dass sie von der Pflichtverletzung der Manager wussten, aber nichts dagegen unternahmen. Wenn dann die Versicherungssumme schon durch die Ansprüche gegen Vorstände erschöpft ist, droht der Zugriff auf das Privatvermögen der Aufsichtsräte. Sicherer sind jeweils getrennte Policen für Vorstand und Aufsichtsrat.

Besondere Aufmerksamkeit hat die TTT (Two Tier Trigger) Policy für Aufsichtsräte gefunden. Sie stellt der herkömmlichen Globalpolice für sämtliche Organwalter eine separate Police für den Aufsichtsrat zur Seite, die wiederum bei einem anderen Versicherer gezeichnet wird. Diese Deckung greift bei ansonsten mit der Globalpolice identischem Wording (sog. Full Following Form) in bestimmten Fällen (Triggern) ein. Die Trigger sind alternativ: (1) Erschöpfung der Versicherungssumme aus der Globalpolice; (2) Streitverkündung durch Vorstandsmitglieder; (3) Anfechtung des Versicherungsvertrags durch den Versicherer wegen arglistiger Täuschung durch Vorstände und (4) gleichzeitige Inanspruchnahme von Vorständen und Aufsichtsräten durch einen besonderen Vertreter nach § 147 II 1 AktG.

Die Gründe für das Deckungskonzept sind einleuchtend:

Da dem Aufsichtsrat die Überwachung der Geschäftsführung obliegt, kann theoretisch jeder Fehler, der der Geschäftsleitung unterläuft, in einen Fehler des Aufsichtsrats umgemünzt werden, nach dem Motto: Wäre der Aufsichtsrat seiner Überwachungsverantwortung gerecht geworden, wäre es zu diesem Fehler gar nicht gekommen. Die Leistungsfähigkeit der D&O-Versicherung wird durch die Verteilung unzureichender Versicherungssummen auf die Probe gestellt, bei der insbesondere Aufsichtsräte bisweilen leer auszugehen drohen.

Nach dem Motto “Angriff ist die beste Verteidigung” wird einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats bereits im Zeitpunkt der außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen angedroht, man werde sie in den Prozess hineinziehen und ihnen sofort wegen “Mitwisserschaft” und “Mitverantwortung” den Streit verkünden, sollte es zur Klageerhebung kommen. Hierdurch wird die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats bereits im Rahmen der außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs in Frage gestellt. Durch eine Streitverkündung wird der Aufsichtsrat sprichwörtlich vom Jäger zum Gejagten. Die D&O-Versicherung stellt sich dann als Mogelpackung für den Aufsichtsrat dar. Zwar löst die Streitverkündung auch in der herkömmlichen D&O-Unternehmenspolice, unter der Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam versichert sind, den Versicherungsfall aus. Dem zentralen Vorwurf der Streitverkündungsschrift, wonach der Aufsichtsrat über die schadensverursachenden Maßnahmen zutreffend und vollständig informiert worden sei und diese im vollem Umfang gebilligt habe, wird das streitverkündete Aufsichtsratsmitglied in aller Regel entschieden entgegentreten wollen. Geeignetes Mittel hierzu ist wohl nur der Streitbeitritt auf Seiten des klagenden Unternehmens. Die D&O-Versicherer verweigern den Versicherungsschutz mit der schlichten Begründung, der Beitritt auf Seiten der Klägerin sei keine Abwehrmaßnahme, weswegen dafür nach den Versicherungsbedingungen auch keine Kostendeckung gewährt werden könne. Im Ergebnis müssen streitverkündete Aufsichtsratsmitglieder ihre Anwälte dann aus der Privatschatulle zahlen.

 


Gedanken zum Lobbyregister

Nun sind sich alle Fraktionen im Bundestag einig. Das Lobbyregister soll noch diese Legislaturperiode auf den Weg gebracht werden. Eine Expertenanhörung zu der hochkomplexen Materie im Geschäftsordnungsausschuss ist für den Herbst geplant. Die Stimmen im politischen Berlin sind allerdings facettenreich. Die große Koalition wird zeitnah einen Gesetzentwurf vorlegen.

Das geplante Lobby-Transparenzgesetz soll der öffentlichen Kontrolle von politischen Entscheidungsprozessen dienen. Hierzu muss die Verpflichtung zur Offenlegung von Tätigkeiten der politischen Einflussnahme auf staatliche Entscheidungen sowie Registrierungs- und Verhaltenspflichten für Lobbyisten geregelt werden. Das Lobbyregister soll erfassen, wer als Interessenvertreter und mit welchem Ziel tätig ist. Eingetragen werden sollen insbesondere alle Personen und Verbände, die gegen Bezahlung Einfluss auf die Arbeit des Bundestages oder der Bundesregierung nehmen. Informationen wie Höhe des Betrags und Auftraggeber sind hier ebenfalls zu erfassen. Dies betrifft auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Law Firms, soweit diese als Lobbyisten tätig sind. Bei Regelverstößen muss es Sanktionen geben. Das Gesetz soll von einem Lobbybeauftragten überwacht werden.

Es muss klar erkennbar und nachvollziehbar sein, wer an einer Gesetzgebung mitgewirkt hat und wer maßgeblich Einfluß genommen hat. Transparenz kann nur durch einen “legislativen Fußabdruck” gewährleistet werden: Jedem Gesetz soll eine Liste mit allen Interessenvertretern, die Einfluss auf die entsprechende Gesetzgebung genommen haben, beigefügt werden. Erfasst werden muss auch die Lobbyarbeit gegenüber der Bundesregierung. Auch die Rolle der NGOs ist zu hinterfragen. Grundsätzlich soll transparent sein, wie sich NGOs finanzieren.

Ziel von Lobbyarbeit sind auch Abgeordnete, welche durch Beratertätigkeiten dem Ansehen der Politik Schaden zufügen können. Eine Pflicht zur Anzeige von Nebentätigkeiten ist bereits Praxis. Ein Ethikkodex für Abgeordnete fordert eine Verpflichtung zur Begrenzung der Nebentätigkeiten. Auch sollen Abgeordnete natürlich nicht auf der “payroll” ausländischer Regierungen stehen. Die Unabhängigkeit des Mandats muss im Vordergrund stehen. Verhindert werden soll, dass Abgeordnete der Wirtschaft als “Türöffner” zu Bundesministerien dienen.

Wichtig ist auch eine Karenzzeit. Amtlich erworbenes Wissen und amtlich erworbene Kontakte dürfen nicht “gewinnbringend” an den Meistbietenden “verkauft” werden. Viele prominente Wechsel von Politikern in die Privatwirtschaft stimmen bedenklich. Für Mitglieder der Bundesregierung gibt es bereits eine Karenzzeit.

Politik muss dem Allgemeinwohl dienen und darf nicht “Befehlsempfänger” der Wirtschaft sein. Selbst die Wirtschaftsverbände fordern im eigenen Interesse an Transparenz ein gesetzliches Lobbyregister. In einem guten Ordnungsrahmen gehört Interessenwahrnehmung wie selbstverständlich zur Politik und zum Meinungsaustausch. Intransparente Einflussnahme darf es aber in Zukunft nicht mehr geben.

 


Belohnungen für Whistleblower

Mit Belohnungen können Anreize für unternehmensinternes Whistleblowing geschaffen werden. Werden durch Hinweise von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern systematische Compliance-Verstöße aufgeklärt, abgestellt und konsequent geahndet, dann sollten Whistleblower auch belohnt werden. Mit transparenten und durchdachten Belohnungssystemen können Unternehmen ein Zeichen setzen für eine Nulltoleranzstrategie gegen unternehmensbezogene Straftaten. Mitarbeiter müssen spüren und erleben, dass Compliance kein “Papiertiger” ist. Whistleblowing ist aber nur in einer wertebasierten Unternehmenskultur sinnstiftend, sonst drohen Misstrauen, Missbrauch und Bespitzelung. Auch ein „Fair Trial“ für Verdächtige ist wichtig.

Belohnungsprogramme müssen Teil einer effizienten Compliance-Kommunikation sein. Internetbasierte Hinweisgebersysteme und Ombudsleute können das Vertrauen in die Systeme weiter stärken. Belohnungen für Whistleblower lassen sich auch im Compliance-Budget darstellen und rechtfertigen. Ein funktionierendes Compliance-System mit der Herzkammer Whistleblowing findet bei der Bemessung der Geldbußen gegen die Unternehmen Berücksichtigung. Es gilt das Motto: “If you think compliance is expensive, try non-compliance”. Entscheidend ist die mit den Belohnungen verbundene Signalwirkung und die Effizienzsteigerung. Um die Selbstreinigungskräfte der Unternehmen zu stärken, sollte der Gesetzgeber auch die steuerliche Absetzbarkeit von Belohnungssystemen ausdrücklich anerkennen. Die Auslobung von Belohnungen ist im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt und grundsätzlich legitim.

Belohnungsregelungen sind bei richtiger Ausgestaltung ein sinnvolles Instrument zur Steigerung der Meldebereitschaft. Dabei können sich die Unternehmen an den branchenspezifischen Compliance-Risiken orientieren. Die Geschäftsleitung kann die Auslobung von Belohnungen auf bestimmte Compliance-Felder beschränken. Bei einer Kosten-Nutzen-Analyse lohnt ein Blick ins Mutterland des Whistleblowing: Die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC zahlt an Whistleblower Beträge in Höhe von 10 bis 30 Prozent der gegen die Unternehmen verhängten Geldsanktionen. Unternehmen müssen Whistleblowing als Frühwarnsystem begreifen. Verhinderte Reputationsschäden, durch Abstellen der Compliance-Verstöße verhütete weitere Vermögensschäden und die Berücksichtigung von Compliance bei der Bemessung der Geldbuße können Kalkulationsgrundlage für die Belohnung sein. Spiegelbildlich stellt auch der potenzielle Hinweisgeber eine Kosten-Nutzen-Analyse an. Ohne angemessene Beträge gilt das Sprichwort: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Für die Unternehmen läuten die Alarmglocken: Mit der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie wird das Prinzip des Vorrangs für internes Whistleblowing in Deutschland ein Ende finden. In Zukunft gilt: Hinweisgeber genießen Schutz gegen Repressalien auch dann, wenn sie sich unmittelbar an die Behörden wenden. Ohne Belohnungen für Whistleblower laufen unternehmensinterne Hinweisgebersysteme Gefahr, gegenüber den Meldekanälen der Behörden ins Hintertreffen zu geraten. Kontrollverluste der Geschäftsleitung sind dann unausweichlich.

 


Whistleblowing im Compliance Life-Cycle

Für einen Paukenschlag sorgte eine Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 12. März 2019 mit der Schlagzeile: “Einheitlicher Schutz für Whistleblower in der ganzen EU beschlossen”. „Hinweisgeber tun das Richtige für die Gesellschaft und sollten von uns geschützt werden, damit sie dafür nicht bestraft, entlassen, degradiert oder vor Gericht verklagt werden“, sagte der Erste Vizepräsident Frans Timmermans. Věra Jourová, Kommissarin für Justiz fügte hinzu: “Ich freue mich, dass wir uns auf ein ausgewogenes System geeinigt haben, mit dem Arbeitgeber ermutigt werden, Probleme intern zu lösen, Hinweisgeber aber gleichzeitig die Möglichkeit erhalten, sich an Behörden zu wenden, ohne Angst vor Vergeltung haben zu müssen.“ Nach der EU-Initiative werden alle Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten verpflichtet, effiziente und wirksame Meldekanäle einzurichten. Die Plausibilisierung der Hinweise – vorzugsweise durch Ombudsmänner – und – bei Verdacht auf Complianceverstöße – die Einleitung einer Internal Investigation zur Sachverhaltsaufklärung rückt so auf die Agenda des Managements. Best Practice sind digitale Plattformen, die die geforderte Anonymität ermöglichen. So “garantiert” das Bundeskartellamt dem Whistleblower: “Eine technische Rückverfolgung Ihres Hinweises ist unmöglich. Das System ist von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zertifiziert und wird auch in der Korruptionsbekämpfung bekannter Unternehmen sowie bei Landeskriminalämtern und Polizeibehörden verwendet. Bitte achten Sie darauf, dass Sie selbst keine Informationen eingeben, die Rückschlüsse auf Ihre Person zulassen.” Solche Systeme werden sich auch im Mittelstand verbreiten. Damit diese dann auch genutzt werden, müssen Mitarbeiter nach dem Prinzip “Tone from the Top” spüren, dass Compliance von ganz oben getragen wird. Eine von der Geschäftsleitung initiierte SPEAK-UP Culture soll Mitarbeiter ermutigen, Hinweise auf Compliance-Verstöße intern zu melden. Das Vertrauen schwindet, wenn im Unternehmen ein generelles “Klima der Angst” herrscht. Die Befürchtung, unter dem Deckmantel der Anonymität nutzen Hinweisgeber den geschützten Kanal, um gezielt Kollegen in Misskredit zu bringen, kann durch wissenschaftliche Studien nicht belegt werden. Eine Studie der HTW Chur “Whistleblowing Report 2018” hat festgestellt: “Missbräuchliche Meldungen, die lediglich opportunistischer Natur sind und dazu dienen, jemanden gezielt anzuschwärzen, sind ein seltenes Phänomen. Lediglich 3 Prozent der Meldungen werden als missbräuchlich eingestuft.” Auch können solche Meldungen mit einer Plausibilitätsprüfung sehr gut herausgefiltert werden. Wird die Identität des Whistleblowers aufgedeckt, so kann dies bei schweren Compliance-Verstößen (Straftaten) für den Whistleblower sehr gefährlich werden. Als ultima ratio muss der Whistleblower auch die Möglichkeit haben, sich an die Presse zu wenden. Hierzu hat sich Thomas Fischer, ehemaliger Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, im Dezember 2018 in seiner Kolumne wie folgt geäußert: “Das Berichten über illegale Geheimnisse ist Aufgabe einer Presse, die „frei“ und deren Freiheit Teil dessen ist, was „konstituierend“ für den Rechtsstaat unseres Verständnisses sein soll.” Fazit: Für die Unternehmen muss gelten: In der Compliance Trias PREVENT – DETECT – RESPOND darf der Whistleblower nicht auf der Strecke bleiben. Sonst wird das wichtige Thema Whistleblowing im “Compliance Life-Cycle” noch ein Fall für die strenge Organhaftung und die D&O-Versicherung.




Die D&O-Versicherung als Casino für Bußgeldregresse

Mit dem Ziel, den von der D&O-Versicherung ausgelobten Jackpot (Gewinnklasse 1: Deckungssumme abzüglich anzurechnender Abwehrkosten) zu knacken, versuchen geschädigte Unternehmen hohe Bußgelder bei pflichtvergessenen Organwaltern zu regressieren. Mutter aller Probleme ist das Regime der strengen Organhaftung. Der Deutsche Juristentag hatte eine Lösung empfohlen: Der Gesetzgeber sollte zulassen, dass die aktienrechtliche Innenhaftung der Organmitglieder durch die Satzung begrenzt wird, indem die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird und / oder Haftungshöchstgrenzen eingeführt werden. Eine Reform der Organhaftung steht allerdings nicht auf der politischen Agenda. Für Kartellbußen hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf im “Schienenkartellverfahren” den Regress für unzulässig erklärt. Die vom Bundeskartellamt verhängte Kartellbuße sei im Verhältnis zum Beklagten als natürlicher Person nicht erstattungsfähig. Das Kartellamt unterscheide zwischen Bußen gegenüber natürlichen Personen und Unternehmen. Diese Regelung würde ins Leere laufen, wenn Bußgelder weitergereicht werden könnten. Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil wegen Zuständigkeitsfragen aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen. Die grundsätzliche Frage wurde nicht entschieden. In anderen zivilrechtlichen Verfahren wurde die Erstattungsfähigkeit von Geldbußen, jedenfalls soweit es um den Sanktionsteil geht, bejaht. Letztlich werden wohl die Kartellgerichte und der Bundesgerichtshof entscheiden.

Klagende Aufsichtsräte sollten sich nicht in Schadenfreude üben. Jede Pflichtverletzung der Geschäftsleitung kann auch als Aufsichtspflichtverletzung gedeutet werden. So werden Aufsichtsräte über Streitverkündungen ins Haftungsboot gezogen. Bei astronomischen Klagesummen und einer Vielzahl von versicherten Personen kann schnell der Deckungskonkurs drohen. In der Praxis ist ein Trend zur persönlichen D&O-Versicherung festzustellen, die der Manager auf eigene Rechnung abschliesst. Damit können auch keine Begehrlichkeiten – nach dem Motto “Insurance breeds claims” – geweckt werden.

Oberstes Gebot ist die Prävention, so dass es erst überhaupt nicht zum D&O-Schadenfall kommt. Amtierende Geschäftsleiter sollten unbedingt ein wirksames Compliance-Management-System einrichten. Gegen den Vorwurf unzureichender Compliance Bemühungen in einem zukünftigen Haftungsprozess kann zur Entlastung der Nachweis einer unabhängigen Prüfung des Compliance Systems nach dem vom Institut der Wirtschaftsprüfer aufgestellten Standard hilfreich sein.

Letzter Rettungsanker für die Verzweifelten ist Asset Protection. Das Privatvermögen soll vor dem Zugriff von Gläubigern geschützt werden. In der Praxis verbreitet sind Güterstandsschaukeln, Familienstiftungen, ausländische Rechtsträger und Gestaltungen zur Vermeidung eines pfändbaren Vermögensanfalls. Mit einer rechtlich einwandfreien Asset Protection muss rechtzeitig begonnen werden und nicht erst in der Krise. Denn dann droht die Anfechtung der Vermögensübertragungen oder gar eine Strafbarkeit – weit abseits vom Leitbild des “ehrbaren Kaufmanns”.

Bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof den überzogenen Haftungsmaßstab im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung korrigiert. Einstweilen bleibt das Casino geöffnet. Der reformunwillige Gesetzgeber schaut tatenlos zu.




Compliance bei den obersten deutschen Gerichtshöfen

Compliance ist kein auf die Privatwirtschaft beschränktes Thema. Sportverbände, der ADAC und nun auch das Bundesverfassungsgericht. “Zum Glück gibt es Compliance” war im Dezember 2016 die Schlagzeile der Kolumne des Bundesrichters Thomas Fischer in der ZEIT. In Karlsruhe hat das Bundesverfassungsgericht jetzt die Vorreiterrolle übernommen. Eine Arbeitsgruppe zur Schaffung hausinterner Ethikregeln wurde eingerichtet. Orientieren können sich die Juristen bei den Kaufleuten. “Tone at the Top” und das künftig im deutschen Kodex für gute Unternehmensführung aufgenommene Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ sind vielleicht eine Blaupause für ein Leitbild des “ehrbaren deutschen Bundesrichters”.

Ethikregeln beim Bundesverfassungsgericht müssen vor allem transparent sein. Für die Privatwirtschaft sieht der Kodex vor: Unternehmen sollen die Grundzüge des Compliance Management Systems offenlegen. Im Sinne eines Best Practice soll den Beschäftigten auch die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben. Für die Ethikregeln der Bundesrichter ist schwer vorstellbar, wie eine Whistleblower-Hotline ausgestaltet sein soll. Dürfen nur Richter, oder nur Organe der Rechtspflege (also auch Rechtsanwälte) oder jeder Bürger Zugang zu einem Hinweisgebersystem haben? Und welche Persönlichkeit würde überhaupt als Ombudsmann in Betracht kommen? Nur ein allseits respektierter Bundesrichter im “Unruhestand”?

Auch die Cooling-off-Periode im Aktiengesetz sollte die Karlsruher Arbeitsgruppe im Blick haben: Vorstandsmitglieder können grundsätzlich nicht vor Ablauf von zwei Jahren dem Aufsichtsrat derselben Gesellschaft angehören. Schnelle Seitenwechsel von Bundesrichtern zu Anwaltssozietäten oder in Vorstandsposten der Privatwirtschaft sind jedenfalls dann unter dem Gesichtspunkt des “Drehtür-Effekts” kritisch zu hinterfragen, wenn ein Wechsel den Verdacht von Interessenkonflikten aufkommen lässt. Ein Blick auf die amerikanische Unternehmenswelt wäre auch lohnenswert: Dort muss die „Pay Ratio“, das Verhältnis zwischen der Bezahlung des Vorstandsvorsitzenden und des Durchschnittsangestellten, offengelegt werden. Im VW Geschäftsbericht 2016 kann nachgelesen werden, dass eine ehemalige Bundesverfassungsrichterin für ihre einjährige Tätigkeit als Compliance Vorstand (Ressort Integrität und Recht) mehr kassierte als der VW-Vorstandsvorsitzende. Dagegen “Peanuts” – aber sicherlich auch Gegenstand von Ethik Regeln – sind die Einnahmen amtierender Bundesrichter aus Nebentätigkeiten.

Vorständen in der Privatwirtschaft droht im Falle der Implementierung unzulänglicher Compliance Management Systeme nach der strengen Rechtsprechung die wirtschaftliche Existenzvernichtung. Auch dies sollte die Arbeitsgruppe bedenken. Belehrungen aus der Anwaltschaft sind aber völlig fehl am Platz. Die Rechtsanwaltskammern und Anwaltvereine haben sich selbst noch keine Ethik & Compliance Regeln gegeben. Mutig und vorbildlich schreitet die deutsche Wirtschaft voraus.