Im deutschen Corporate-Governance-System überwacht der Aufsichtsrat den Vorstand und greift gegebenenfalls zum Wohle und Interesse der Gesellschaft in dessen Entscheidungen ein. Unabhängigkeit in allen Aspekten ist hierbei Voraussetzung. Unabhängigkeit sowie die Vermeidung von Interessenskonflikten sind deshalb einer der Arbeitsschwerpunkte der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex gerade in diesem Jahr der Reformbemühungen der Kommission.
Vielleicht sollte die Kommission einen Blick in die ferne Vergangenheit werfen. In ähnlich starren und überreglementierten Systemen hat ein weiser König neben seinen Beratern einen Hofnarren beschäftigt, dessen oberste Aufgabe es war, notwendige Wahrheiten jederzeit und sanktionsfrei auszusprechen. Diese Hofnarren waren eine soziale Institution zulässiger Kritik. Schon 2001 fragten Wütherich, Winter und Philipp in ihrem Buch „Die Rückkehr des Hofnarren“, ob die Wiedereinführung eines wie auch immer gearteten „Hofnarren“ (CCJ = Chief Court Jester) zu einer Verbesserung führe – so wie sich manche Unternehmen eine Verbesserung durch Einführung eines Ethik- und Compliance-Vorstands erwarten. 2002 forderte Bruno S. Frey die Einführung „spezialisierter Bedenkenträger“ in Schweizer Verwaltungsräten, die systematisch in der Opposition stehen – im Sinne eines Advocatus Diaboli.
Unabhängigkeit bedeutet nicht nur das Nichtvorhandensein einer geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand. Unabhängigkeit bedeutet im Wesentlichen „mehr geistige Freiheit“. Freiheit zur Reflexion, zum Überdenken und Unterbrechen. Damit Aufsichtsräte diese Fähigkeit zur (Eigen-) Reflexion, des Überdenkens und Unterbrechens entwickeln können, müssen sie emotional, materiell und persönlich unabhängig sein. Dadurch gewinnen sie die geistige Freiheit: Freiheit, die es ihnen erlaubt, tapfer und mutig, ungestraft Kritik an den bestehenden Verhältnissen und agierenden Personen zu üben und auszusprechen. Aufsichtsräte verstehen sich als Verantwortungsträger und akzeptieren neben der inneren auch externe persönliche Evaluation und Beurteilung durch andere. Durch diese (externe) Reflexion beugen sie einer eventuellen Selbsttäuschung und einer eigenen Fehleinschätzung vor.
Diese tatsächliche Unabhängigkeit ist zwingend, um richtig zu entscheiden und zu handeln und ist das Fundament nicht nur für effektives und effizientes Risiko- und Compliance-Managementsystem. Sie erlaubt ihnen, bei Bedarf auch den Aufsichtsratsvorsitzenden und/oder den Mehrheitsaktionär (einschließlich Vertretern von sogenannten Private Equity Häusern) zum Wohle des Unternehmens zu kritisieren und zu widersprechen. Also eine Art Narrenfreiheit.