In Wirtschaftsstraftaten sind regelmäßig riesige Datenmengen auszuwerten. Diese Mittel stehen Großunternehmen für ihre Verteidigung ohne Weiteres zur Verfügung. Wie ist aber die Situation der Strafverfolgungsbehörden? Besteht hier noch „Waffengleichheit“, oder wird die Strafverfolgung in Zukunft zu einer aussichtslosen Angelegenheit? Absorbieren Beratungsunternehmen und Industrie die qualifiziertesten IT-Experten, so dass digitale Beweismittel unzureichend oder gar nicht mehr ausgewertet werden können?
Beauftragung von IT-Forensikern durch Staatsanwaltschaften
Grundsätzlich sind die Landespolizeien mit den Landeskriminalämtern (LKA) für die Verfolgung und Aufklärung von Straftaten zuständig. In bestimmten Bereichen der internationalen und der schweren Kriminalität nimmt auch das Bundeskriminalamt (BKA) Strafverfolgungsaufgaben wahr. Das BKA führt außerdem Ermittlungsverfahren in Fällen, in denen es wegen der Bedeutung des Falles nach § 4 Abs. 2 BKAG von einer Staatsanwaltschaft beauftragt wird. Hierzu zählen insbesondere bedeutende Erpressungsfälle oder Wirtschaftsstraftaten mit hohem volkswirtschaftlichem Schaden. Dabei verfügen sowohl die Landeskriminalämter als auch das BKA aufgrund der Bedeutung der digitalen Beweismittel über entsprechende IT-Forensiker.
Grundsätzlich wird die Staatsanwaltschaft IT-Forensiker des zuständigen LKA oder ggfs. auch des BKA zur Durchführung bzw. Unterstützung mit der Sicherung, Aufbereitung und Zurverfügungstellung für die Sichtung von digitalen Beweismitteln beauftragen. Zivile IT-Forensiker, etwa von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder Beratungsunternehmen, werden i.d.R. für Wirtschaftsunternehmen bei internen Ermittlungen aus verschiedensten Anlässen tätig. Gleichwohl kann es aus verschiedenen Gründen erforderlich sein, dass Staatsanwaltschaften (zusätzlich) auf zivile IT-Forensiker als Sachverständige zurückgreifen.
Zulässigkeit der Vergabe von IT-Forensik-Aufträgen durch Staatsanwaltschaften
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann hat im Jahr 2020 im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage die Vergabe von Aufträgen durch die Staatsanwaltschaften an Sachverständige in einem Ermittlungsverfahren erläutert. (Vgl.: HESSISCHER LANDTAG Drucksache 20/3293 vom 19.08.2020) Dies betrifft auch die Beauftragung privater IT-Forensiker. In der hessischen Justizpraxis gelten für die Beauftragung folgende Richtlinien. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für andere Bundesländer:
- Die Entscheidung über die Beauftragung eines Sachverständigen in einem Ermittlungsverfahren steht nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 161a Abs. 1 S. 2, 73 StPO im Ermessen des Staatsanwalts.
- Die Auswahl des Sachverständigen steht während eines Ermittlungsverfahrens im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Staatsanwalts.
- Die Vergabe von Sachverständigenaufträgen stellt kein öffentliches Beschaffungsverfahren dar. Vielmehr regeln die bundesweit geltenden Verfahrensordnungen die Gutachtenvergabe in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren.
- Für die Vergütung von Sachverständigen sind die Bestimmungen des 3. Abschnittes des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) maßgeblich.
- Der Sachverständige ist kraft seiner Stellung ein unabhängiges Beweismittel. Er darf von keiner der am Strafprozess beteiligten Personen abhängig sein oder werden.
- Fast alle Staatsanwaltschaften hatten Einzelfallregelungen, die ein Vier-Augen-Prinzip bei der Vergabe von Gutachtenaufträgen vorsahen. Durch Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft wurde in die Wege geleitet, dass dieses Prinzip nunmehr bei allen Staatsanwaltschaften bei der Erteilung der Gutachtenaufträge ohne Rücksicht auf das Auftragsvolumen anzuwenden ist.
Fazit und Ausblick
In komplexen Fällen von Wirtschaftskriminalität ist der Einsatz von IT-Forensik der Schlüssel zum Fahndungserfolg. Dies gelingt in der Regel nur durch die Beauftragung von Sachverständigen für IT-Forensik. Im Hinblick auf den erforderlichen Spezialisierungsgrad und die für IT-Forensiker von der Privatwirtschaft gebotenen Karrierewege werden die Ermittlungsbehörden trotz eigener Kapazitäten in den LKA und beim BKA weiterhin – auf rechtlich einwandfreier Grundlage – auf die Unterstützung spezialisierter Unternehmen setzen. Im Hinblick auf die flexible Abdeckung von Ermittlungs-Lastspitzen ist dies im Übrigen auch im Interesse der Steuerzahler, da staatliche IT-Forensiker, die zur Abdeckung von Lastspitzen vorgehalten würden, einen enormen Kostenblock auch in „auslastungsschwächeren“ Zeiten bedeuten würden.
Über die Autoren: Dr. Frank Hülsberg & Dr. jur. Burkhard Fassbach
Dr. Frank Hülsberg ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Er ist Mitglied des Vorstands bei Grant Thornton AG und verantwortet das Ressort Technology & Innovation. Zudem leitet er den Beratungsbereich Governance, Risk, Compliance & Technology. Seine Schwerpunkte liegen hier auf Wirtschaftskriminalität, Cyber Security, Data Analytics, Prozessdigitalisierung sowie IT-Strategieberatung und -umsetzung.
Dr. jur. Burkhard Fassbach ist seit 1998 als Rechtsanwalt zugelassen. Nach einer Promotion im US-amerikanischen Reorganisationsrecht bei Professor Manfred Wolf an der Johann Wolfgang Goethe-Universität praktizierte er zunächst bei der Kanzlei Wellensiek im Insolvenzrecht. Seit vielen Jahren ist er in den Bereichen Compliance, Organhaftung und D&O-Versicherung spezialisiert und durch zahlreiche Publikationen ausgewiesen.