Pflichtvergessene Organwalter haften bereits bei leichter Fahrlässigkeit unbegrenzt mit ihrem Privatvermögen. Treiber der Organhaftung ist immer noch die ARAG Doktrin des Bundesgerichtshofs (BGH, 21.04.1997 – II ZR 175/95 – ARAG/ Garmenbeck). Auf dieser Linie hat das OLG Hamm im Arcandor Fall mit Urteil vom 6. April 2022 entschieden, dass Aufsichtsratsmitglieder haften, wenn sie realisierbare Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder verjähren lassen. Zu den Amtspflichten des Aufsichtsrats gehört die Überwachung des Vorstands und ggf. die Verfolgung von Pflichtverstößen einschließlich der Geltendmachung entsprechender Schadensersatzansprüche. Als Leitentscheidung für die Compliance-Verantwortung des Vorstands gilt das Siemens/Neubürger-Urteil des LG München I. Die Pflichtverletzung von Neubürger wurde darin gesehen, dass er es unterlassen hatte, für eine hinreichend effektive Compliance-Organisation zu sorgen. Neben mangelhaften Compliance Systemen spielen zunehmend auch interne Untersuchungen zur Aufklärung von Rechtsverstößen eine große Rolle. Zu effektiven Compliance-Maßnahmen gehört auch die folgerichtige Durchsetzung. Es gilt die Pflichtentrias Aufklärung, Abstellung, Ahndung.
Der Aufsichtsrat benötigt einen eigenen D&O-Schutzschirm. Damit wird eine erhebliche Verbesserung der Rechtsposition sowohl der Vorstands- als auch der Aufsichtsratsmitglieder erreicht. Aufsichtsräte werden vielfach erst nach den Vorständen zur Rechenschaft gezogen, meistens mit der Begründung, dass sie von der Pflichtverletzung der Manager wussten, aber nichts dagegen unternahmen. Wenn dann die Versicherungssumme schon durch die Ansprüche gegen Vorstände erschöpft ist, droht der Zugriff auf das Privatvermögen der Aufsichtsräte. Sicherer sind jeweils getrennte Policen für Vorstand und Aufsichtsrat.
Besondere Aufmerksamkeit hat die TTT (Two Tier Trigger) Policy für Aufsichtsräte gefunden. Sie stellt der herkömmlichen Globalpolice für sämtliche Organwalter eine separate Police für den Aufsichtsrat zur Seite, die wiederum bei einem anderen Versicherer gezeichnet wird. Diese Deckung greift bei ansonsten mit der Globalpolice identischem Wording (sog. Full Following Form) in bestimmten Fällen (Triggern) ein. Die Trigger sind alternativ: (1) Erschöpfung der Versicherungssumme aus der Globalpolice; (2) Streitverkündung durch Vorstandsmitglieder; (3) Anfechtung des Versicherungsvertrags durch den Versicherer wegen arglistiger Täuschung durch Vorstände und (4) gleichzeitige Inanspruchnahme von Vorständen und Aufsichtsräten durch einen besonderen Vertreter nach § 147 II 1 AktG.
Die Gründe für das Deckungskonzept sind einleuchtend:
Da dem Aufsichtsrat die Überwachung der Geschäftsführung obliegt, kann theoretisch jeder Fehler, der der Geschäftsleitung unterläuft, in einen Fehler des Aufsichtsrats umgemünzt werden, nach dem Motto: Wäre der Aufsichtsrat seiner Überwachungsverantwortung gerecht geworden, wäre es zu diesem Fehler gar nicht gekommen. Die Leistungsfähigkeit der D&O-Versicherung wird durch die Verteilung unzureichender Versicherungssummen auf die Probe gestellt, bei der insbesondere Aufsichtsräte bisweilen leer auszugehen drohen.
Nach dem Motto “Angriff ist die beste Verteidigung” wird einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats bereits im Zeitpunkt der außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen angedroht, man werde sie in den Prozess hineinziehen und ihnen sofort wegen “Mitwisserschaft” und “Mitverantwortung” den Streit verkünden, sollte es zur Klageerhebung kommen. Hierdurch wird die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats bereits im Rahmen der außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs in Frage gestellt. Durch eine Streitverkündung wird der Aufsichtsrat sprichwörtlich vom Jäger zum Gejagten. Die D&O-Versicherung stellt sich dann als Mogelpackung für den Aufsichtsrat dar. Zwar löst die Streitverkündung auch in der herkömmlichen D&O-Unternehmenspolice, unter der Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam versichert sind, den Versicherungsfall aus. Dem zentralen Vorwurf der Streitverkündungsschrift, wonach der Aufsichtsrat über die schadensverursachenden Maßnahmen zutreffend und vollständig informiert worden sei und diese im vollem Umfang gebilligt habe, wird das streitverkündete Aufsichtsratsmitglied in aller Regel entschieden entgegentreten wollen. Geeignetes Mittel hierzu ist wohl nur der Streitbeitritt auf Seiten des klagenden Unternehmens. Die D&O-Versicherer verweigern den Versicherungsschutz mit der schlichten Begründung, der Beitritt auf Seiten der Klägerin sei keine Abwehrmaßnahme, weswegen dafür nach den Versicherungsbedingungen auch keine Kostendeckung gewährt werden könne. Im Ergebnis müssen streitverkündete Aufsichtsratsmitglieder ihre Anwälte dann aus der Privatschatulle zahlen.