Die Frage, inwieweit gute Compliance tatsächlich in Unternehmen verankert ist, wurde z.B. im Compliance-on-Board-Index (CoBI) erstmalig bei DAX 30 Unternehmen untersucht [1] und zwischenzeitlich werden weitere Unternehmensgruppen und auf Einzelnachfrage analysiert. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass eine Compliance-Kultur nur bedingt ausgeprägt ist und teilweise erheblicher Nachholbedarf besteht. Wie kann eine gute, Compliance befördernde Kultur im Unternehmen etabliert werden bei teilweise stagnierenden bzw. rückläufigen Compliance-Budgets? Ein Ansatz findet sich bei Unternehmen, bei denen – quasi als Beiprodukt – Compliance automatisch verankert ist: Agiles Management. Diese beiden nicht offensichtlich in Verbindung stehenden Themen zeigen bei genauerer Betrachtung fast schon eine zwingende gemeinsame Logik.
Die Verankerung von Compliance in der Unternehmenskultur ist stark davon geprägt, dass die Führungskräfte ein gefestigtes Werteverständnis haben, das von Vision und Leitsätzen über die strategische und schließlich die operative Unternehmensführung das eigene Handeln leitet und Vorbild ist. Genau hier mangelt es bei so manchem, auf die persönliche Vorteilhaftigkeit bedachte Führungsgebaren (bspw. opportunistische Aktien(ver)käufe von Top-Managern in engem zeitlichem Zusammenhang zu wesentlichen, nichtöffentlichen Unternehmensinformationen).
Ganz anders findet sich bei dezentralen Teams ein gemeinsames (Werte-)Verständnis, da sie sich „Ihrer Sache“ und dem fortwährenden Optimierungsstreben verbunden fühlen. Diese Herangehensweise revolutionierte vor 17 Jahren die Softwareindustrie[2] und ist schlichtweg die einzige Chance ist, der Herausforderung wachsender Komplexität und Dynamik mit qualitativ hochwertigen Produkten zu begegnen. In der heutigen Digitalisierung kommt quasi kein Unternehmen mehr ohne Berührungspunkte zur IT aus. Beispiele: Massenprodukte wie Smartphones sind mit >100 Millionen(!) Zeilen Sourcecode bestückt und Amazon lanciert mehr als 10.000 Software-Updates – wohlgemerkt pro Tag! Klassische Managementansätze wurden konsequent zunächst in der IT-Industrie durch agile, selbstverantwortliche und eigenständige Teams ersetzt. Auch in großen Organisationen können mit geeignetem Lean-Agile-Ansatz „Time-to-Market“ und Qualität um bis zu 75%, sowie Produktivität und Mitarbeiter-Engagement bis zu 50% gesteigert werden[3].
Beflügelt durch Elektromobilität und Bedrohung durch US-Internet-Giganten versuchen auch Automobilkonzerne auf agiles Management einzuschwenken. Andere Beispiele finden wir in angezählten Branchen wie im Banken- und Versicherungswesen, in der Logistikbranche, im Dienstleistungssektor etc.
Wie kann es funktionieren – Teams eigenständig und ohne „Order von oben“ machen zu lassen? Und was hat das mit Compliance zu tun?
Dezentrale, eigenständige Teams sind für fortwährende Produkt-/ Service-Verbesserungen verantwortlich, die in kurzer Taktung (1-4 Wochen) den Auftraggebern demonstriert werden. Dies ist nur möglich bei einer Teamkultur, die auf das große Ganze, Transparenz („facts are friendly“), Qualität und permanente Lieferfähigkeit ausgerichtet ist. Alle Teammitglieder tragen gemeinsam die Verantwortung sowohl für die Bestimmung des Lieferversprechens als auch deren Realisierung. Dieser „Ethos“ treibt die Teams, da sie überzeugt sind, mit all Ihrem Engagement das Richtige richtig zu tun sie es qua Mandat auch dürfen. Erfolgreiche agile Organisationen setzen Anreizsysteme auf Gruppen- und nicht auf individueller Ebene. Verfehlungen Einzelner durch vermeidliche „Abkürzungen“ oder Vermeidung von Arbeitsleid werden so im kollektiven Umfeld unmittelbar entblößt. Das Risiko des individuellen Reputationsverlustes ist enorm und bei den eng getakteten Reviews sehr real.
In so einem – richtig aufgesetzten Umfeld wäre der vielzitierte Dieselskandal undenkbar!
Insofern macht es durchaus Sinn, sich aus der Compliance-Perspektive mit agilem Management auseinanderzusetzen.
[1] ICC (2017): Compliance on Board Index CoBI DAX 30 – 2017, Bundesanzeiger-Verlag
[2] „Agiles Manifest“
[3] SAFe – ScaledAgileFramework ist der marktführende Ansatz für agiles Management für große Organisationen. Das für kleine Einheiten konzipierte, vielzitierte „SCRUM“ greift zumeist zu kurz.