Compliance ist kein auf die Privatwirtschaft beschränktes Thema. Sportverbände, der ADAC und nun auch das Bundesverfassungsgericht. “Zum Glück gibt es Compliance” war im Dezember 2016 die Schlagzeile der Kolumne des Bundesrichters Thomas Fischer in der ZEIT. In Karlsruhe hat das Bundesverfassungsgericht jetzt die Vorreiterrolle übernommen. Eine Arbeitsgruppe zur Schaffung hausinterner Ethikregeln wurde eingerichtet. Orientieren können sich die Juristen bei den Kaufleuten. “Tone at the Top” und das künftig im deutschen Kodex für gute Unternehmensführung aufgenommene Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ sind vielleicht eine Blaupause für ein Leitbild des “ehrbaren deutschen Bundesrichters”.
Ethikregeln beim Bundesverfassungsgericht müssen vor allem transparent sein. Für die Privatwirtschaft sieht der Kodex vor: Unternehmen sollen die Grundzüge des Compliance Management Systems offenlegen. Im Sinne eines Best Practice soll den Beschäftigten auch die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben. Für die Ethikregeln der Bundesrichter ist schwer vorstellbar, wie eine Whistleblower-Hotline ausgestaltet sein soll. Dürfen nur Richter, oder nur Organe der Rechtspflege (also auch Rechtsanwälte) oder jeder Bürger Zugang zu einem Hinweisgebersystem haben? Und welche Persönlichkeit würde überhaupt als Ombudsmann in Betracht kommen? Nur ein allseits respektierter Bundesrichter im “Unruhestand”?
Auch die Cooling-off-Periode im Aktiengesetz sollte die Karlsruher Arbeitsgruppe im Blick haben: Vorstandsmitglieder können grundsätzlich nicht vor Ablauf von zwei Jahren dem Aufsichtsrat derselben Gesellschaft angehören. Schnelle Seitenwechsel von Bundesrichtern zu Anwaltssozietäten oder in Vorstandsposten der Privatwirtschaft sind jedenfalls dann unter dem Gesichtspunkt des “Drehtür-Effekts” kritisch zu hinterfragen, wenn ein Wechsel den Verdacht von Interessenkonflikten aufkommen lässt. Ein Blick auf die amerikanische Unternehmenswelt wäre auch lohnenswert: Dort muss die „Pay Ratio“, das Verhältnis zwischen der Bezahlung des Vorstandsvorsitzenden und des Durchschnittsangestellten, offengelegt werden. Im VW Geschäftsbericht 2016 kann nachgelesen werden, dass eine ehemalige Bundesverfassungsrichterin für ihre einjährige Tätigkeit als Compliance Vorstand (Ressort Integrität und Recht) mehr kassierte als der VW-Vorstandsvorsitzende. Dagegen “Peanuts” – aber sicherlich auch Gegenstand von Ethik Regeln – sind die Einnahmen amtierender Bundesrichter aus Nebentätigkeiten.
Vorständen in der Privatwirtschaft droht im Falle der Implementierung unzulänglicher Compliance Management Systeme nach der strengen Rechtsprechung die wirtschaftliche Existenzvernichtung. Auch dies sollte die Arbeitsgruppe bedenken. Belehrungen aus der Anwaltschaft sind aber völlig fehl am Platz. Die Rechtsanwaltskammern und Anwaltvereine haben sich selbst noch keine Ethik & Compliance Regeln gegeben. Mutig und vorbildlich schreitet die deutsche Wirtschaft voraus.