Compliance und Anstand
Compliance fragt nicht nur nach Regelungen und Vorschriften. Compliance Management fragt als Erstes nach Anstand und Respekt. Anstand einer Organisation als Ganzes und Anstand der einzelnen Individuen, die die Organisation ausmachen und prägen. Nach Menschen als Leuchtturm der Verlässlichkeit im Sturm der täglichen Unwägbarkeiten.
Anstand im Allgemeinen
Wo ist der Anstand geblieben? Wo können wir ein gutes und korrektes Benehmen beobachten? Ein Benehmen, das auf guten Sitten und einer von der Gesellschaft erwarteten und wertgeschätzten Sinn- und Werte-Vorstellung basiert. Anstand als anerkannte Grundbedingung und selbstverständlich empfundener Maßstab für ethisch-moralisches Verhalten im Zusammenleben mit Anderen in der Gemeinschaft im Kleinen und in der Gesellschaft im Großen.
Wer bestimmt, was gutes Benehmen ist?
Für das Miteinanderauskommen braucht es Regeln. Anstandsregeln als Leitplanken für eine gemeinschaftliche, akzeptierte Sinn- und Werte-Orientierung. Wer legt vernünftige, gesellschaftliche Grundregelungen fest? „Was ist Vernunft? Der Wahnsinn aller?“ fragte schon Baruch de Spinoza (1632-1677), holländischer Philosoph. Wer entscheidet, was Gutes und schlechtes Benehmen ist? Sind Aufrichtigkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Loyalität und Respekt anderen gegenüber in unserer Zeit aus der Mode gekommen?
Jeder von uns wurde bei der Geburt mit bestimmten Sozialkompetenzen ausgestattet. Einer Kombination aus Anpassungs- und Durchsetzungsfähigkeiten, die es ermöglicht, in Kommunikations- und Interaktionssituationen entsprechend den Bedürfnissen der Beteiligten Realitätskontrolle zu übernehmen und effektiv zu handeln. Soziale Intelligenz und soziale Instinkte, wie z.B. Gerechtigkeitsempfinden, Beschützerinstinkt und Nächstenliebe fördern unser Wohlempfinden. Niemand kam mit Geldgier, Machtgeilheit oder Niedertracht auf die Welt. Gesunder Egoismus hat die Natur mit einem Geselligkeitstrieb gepaart. Dem Wunsch nach Zugehörigkeit in einer erfolgreichen Gruppe. Einer Gruppe, deren (Anstands-) Regeln wir gerne übernehmen.
Sind wir noch ausreichend anständig?
Aber was ist passiert in der Evolution bzw. unserer eigenen Entwicklung? Haben sich die Gruppenzugehörigkeiten oder die (Anstands-) Regeln innerhalb gleichbleibender Gruppen verändert? Gibt es noch gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. Elternhaus und Schule mit den gleichen akzeptierten Sinn- und Werte-Orientierungen? Es geht nicht um „die da oben“ oder um die vermeintliche „Elite“. Sondern um jeden einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft!
Darf ich überhaupt noch anständig sein?
Darf ich noch anständig sein in geänderten Gruppierungen mit geänderten Regeln? Was denkt mein Nachbar, mein Kollege und mein Freund? Fühlt er sich auch unwohl? Folgende Beobachtungen lassen mich nachdenklich werden:
Lügen
Warum lügen wir so gerne? Jeder hört lieber unehrliche Komplimente als ernüchternde Wahrheiten. Warum leben wir in einer Welt, wo von vielen „der Ehrliche“ als schwach und dumm angesehen wird und „der Lügner“ auf Händen getragen und verehrt wird?
Wahrscheinlich auch deshalb, weil wir selbst anfällig sind für „schöne Worte“. Tröstende und beruhigende Lügen (comforting lies) hören wir lieber als unangenehme und lästige Wahrheiten (unpleasant truths). Auch wenn Thomas Mann (1875 – 1955), deutscher Schriftsteller, der Meinung war, dass „eine schmerzliche Wahrheit besser als eine Lüge ist“ so ist der Großteil der Menschen der Auffassung, dass „Wahre Lügen (true lies)“ das eigene Leben einfacher machen.
Jeder Mensch braucht Anstand
Anstand kann man nicht erzwingen, Anstand muss man vorleben. Anstand ist eine Tugend, wie Mut und Respekt. Jeder Mensch hat eine eigene Moral und Anstand und sucht es auch bei seinem Gegenüber. Der Eine vielleicht weniger als der Andere. Und der Andere vielleicht dafür etwas mehr.
Wie können wir zu unserer Integrität und zu unserem Anstand wieder zurückfinden?
Eigentlich ist es sehr einfach: Wir müssen wieder Zeit finden: analoge Zeit ohne Smartphone und digitale Ablenkung. So steigern wir unser eigenes Wohlempfinden!
Weniger LÜGEN: Seien Sie mehr authentisch. Verzichten Sie auf die rhetorischen Lückenfüller und Dummschwätzer-Attitüden. Seien Sie ehrlich und fordern Sie Ehrlichkeit auch ein. Nehmen Sie den chinesischen Philosophen Laotse (ca. 6. Jahrhundert v. Chr.) als Vorbild: „Wahre Worte sind nicht immer schön; aber schöne Worte sind auch nicht immer wahr“.
Mehr RESPEKT: Gleich welcher Person gegenüber, mehr Liebe und Achtung erbringen. Vorbild sein. In Vorleistung gehen. Dann wird man den Respekt des Anderen auch erfahren. Respekt und Liebe sind unzertrennlich. „Die Anerkennung, das Lob der Anderen, stärkt unser Selbstwertgefühl. Es gibt Schwung für neue Aktivitäten. Aber man muss auch selbst die Kraft in sich haben, Andere anzuerkennen. Und das sollte man öfter tun. „Es macht den Umgang untereinander leichter“ wusste schon die deutsche Verlegerin Anna Magdalena Burda (1909 – 2005).
Jeder kann anständig sein
Ich will keine rhetorische Selbstaufwertung. Keine staatlichen Ethikkommissionen und keinen weiteren populistischen Moral-Narzissmus. Ich plädiere für einen Gegenpol gegen den Ozean der Unanständigkeit. Für einen Hafen der Anständigkeit wo sich jeder von uns wiedererkennt und wohlfühlt.
Lassen Sie uns zusammen immer öfter gut und anständig sein!