Prof. Dr. Dr. Stefan Vieweg, CFA

Direktor des Instituts für Compliance und Corporate Governance, Rheinische Fachhochschule Köln

Prof. Dr. Dr. Stefan Vieweg, CFA ist mit 20-jähriger internationaler Führungserfahrung im Mittelstand und Großkonzernen – u.a. als Aufsichtsrat, Beirat, Vorstand und CFO – mit Compliance, Corporate Governance, und Risk Management in komplexen Transaktionen der Praxis bestens vertraut. Der in Betriebswirtschaft sowie Ingenieurwesen promovierte Professor ist Direktor des ICC – Instituts für Compliance und Corporate Governance und MBA-Studiengangsleiter der Rheinischen Fachhochschule Köln. Als zertifizierter Systemischer Change Manager berät er Unternehmen u.a. in der nachhaltigen Gestaltung von Organisationsstrukturen und (digitalen) Transformationsprozessen. Er ist als Chartered Financial Analyst (CFA) dem weltweit höchsten Compliance Standards der Finanzwelt verpflichtet.


Compliance und Agiles Management

Die Frage, inwieweit gute Compliance tatsächlich in Unternehmen verankert ist, wurde z.B. im Compliance-on-Board-Index (CoBI) erstmalig bei DAX 30 Unternehmen untersucht [1] und zwischenzeitlich werden weitere Unternehmensgruppen und auf Einzelnachfrage analysiert. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass eine Compliance-Kultur nur bedingt ausgeprägt ist und teilweise erheblicher Nachholbedarf besteht. Wie kann eine gute, Compliance befördernde Kultur im Unternehmen etabliert werden bei teilweise stagnierenden bzw. rückläufigen Compliance-Budgets? Ein Ansatz findet sich bei Unternehmen, bei denen – quasi als Beiprodukt – Compliance automatisch verankert ist: Agiles Management. Diese beiden nicht offensichtlich in Verbindung stehenden Themen zeigen bei genauerer Betrachtung fast schon eine zwingende gemeinsame Logik.

Die Verankerung von Compliance in der Unternehmenskultur ist stark davon geprägt, dass die Führungskräfte ein gefestigtes Werteverständnis haben, das von Vision und Leitsätzen über die strategische und schließlich die operative Unternehmensführung das eigene Handeln leitet und Vorbild ist. Genau hier mangelt es bei so manchem, auf die persönliche Vorteilhaftigkeit bedachte Führungsgebaren (bspw. opportunistische Aktien(ver)käufe von Top-Managern in engem zeitlichem Zusammenhang zu wesentlichen, nichtöffentlichen Unternehmensinformationen).

Ganz anders findet sich bei dezentralen Teams ein gemeinsames (Werte-)Verständnis, da sie sich „Ihrer Sache“ und dem fortwährenden Optimierungsstreben verbunden fühlen. Diese Herangehensweise revolutionierte vor 17 Jahren die Softwareindustrie[2] und ist schlichtweg die einzige Chance ist, der Herausforderung wachsender Komplexität und Dynamik mit qualitativ hochwertigen Produkten zu begegnen. In der heutigen Digitalisierung kommt quasi kein Unternehmen mehr ohne Berührungspunkte zur IT aus. Beispiele: Massenprodukte wie Smartphones sind mit >100 Millionen(!) Zeilen Sourcecode bestückt und Amazon lanciert mehr als 10.000 Software-Updates – wohlgemerkt pro Tag! Klassische Managementansätze wurden konsequent zunächst in der IT-Industrie durch agile, selbstverantwortliche und eigenständige Teams ersetzt. Auch in großen Organisationen können mit geeignetem Lean-Agile-Ansatz „Time-to-Market“ und Qualität um bis zu 75%, sowie Produktivität und Mitarbeiter-Engagement bis zu 50% gesteigert werden[3].

Beflügelt durch Elektromobilität und Bedrohung durch US-Internet-Giganten versuchen auch Automobilkonzerne auf agiles Management einzuschwenken. Andere Beispiele finden wir in angezählten Branchen wie im Banken- und Versicherungswesen, in der Logistikbranche, im Dienstleistungssektor etc.

Wie kann es funktionieren – Teams eigenständig und ohne „Order von oben“ machen zu lassen? Und was hat das mit Compliance zu tun?

Dezentrale, eigenständige Teams sind für fortwährende Produkt-/ Service-Verbesserungen verantwortlich, die in kurzer Taktung (1-4 Wochen) den Auftraggebern demonstriert werden. Dies ist nur möglich bei einer Teamkultur, die auf das große Ganze, Transparenz („facts are friendly“), Qualität und permanente Lieferfähigkeit ausgerichtet ist. Alle Teammitglieder tragen gemeinsam die Verantwortung sowohl für die Bestimmung des Lieferversprechens als auch deren Realisierung. Dieser „Ethos“ treibt die Teams, da sie überzeugt sind, mit all Ihrem Engagement das Richtige richtig zu tun sie es qua Mandat auch dürfen. Erfolgreiche agile Organisationen setzen Anreizsysteme auf Gruppen- und nicht auf individueller Ebene. Verfehlungen Einzelner durch vermeidliche „Abkürzungen“ oder Vermeidung von Arbeitsleid werden so im kollektiven Umfeld unmittelbar entblößt. Das Risiko des individuellen Reputationsverlustes ist enorm und bei den eng getakteten Reviews sehr real.

In so einem – richtig aufgesetzten Umfeld wäre der vielzitierte Dieselskandal undenkbar!

Insofern macht es durchaus Sinn, sich aus der Compliance-Perspektive mit agilem Management auseinanderzusetzen.

[1] ICC (2017): Compliance on Board Index CoBI DAX 30 – 2017, Bundesanzeiger-Verlag

[2] „Agiles Manifest“

[3] SAFe – ScaledAgileFramework ist der marktführende Ansatz für agiles Management für große Organisationen. Das für kleine Einheiten konzipierte, vielzitierte „SCRUM“ greift zumeist zu kurz.

 


 

Comply or not comply?  Das ist hier die Frage…

„Nachhaltigkeit“ sagt noch nichts über die Qualität der mit diesem viel bemühten Begriff verbundenen Unternehmenstätigkeit aus: Nachhaltig ist nicht automatisch „gut“, sondern kann eben auch „nachhaltig schädlich“ sein. Dies muss man gerade in diesen  Tagen vermehrt konstatieren.

So versuchen derzeit viele mit Erstaunen oder Entsetzen (?) auszuloten, welche Implikationen die unkalkulierbare Politik des einstigen Wirtschafts- und gesellschaftlichen Garanten der westlichen Welt – die USA – auf Europa und Deutschland hat. Zeitgleich und bar wider jede Vernunft sehen wir an der Börse das ewige Pendel zwischen Gier und Angst eindeutig zu Ersterer ausschlagen.

Unternehmerisch führt diese Gier manches Mal zu grenzwertiger Compliance: Beispielsweise  ist das DAX30-Unternehmen HeidelbergCement AG nach eigener Aussage gerade dabei, von dem vermeintlichen Investitionsschub in den USA massiv zu profitieren. Durch Tochterunternehmen im Süden der USA geografisch-logistisch und politisch sozusagen in „Pole-Position“, ist man bestens dafür gerüstet, die benötigten Baustoffe für den extrem kritisierten Mauerbau zwischen Mexiko und den USA zu liefern. Ein naheliegendes und „nachhaltiges“ Projekt – doch ist hier nachhaltig auch „nachhaltig gut“ für ein Unternehmen, dessen Ursprungsland einschlägige Erfahrungen mit Mauerbau hat?

Basis-Anforderungen der gesellschaftlichen Verträglichkeit wirtschaftlichen Tuns, wie sie auch der Deutsche Nachhaltigkeitskodex fordert (seit dem 1. Januar 2017 ist eine  Entsprechenserklärung für große Unternehmen Pflicht), werden jedenfalls keineswegs dadurch befördert. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund eines sich selbsterhaltenden Zwang-Systems (der Vorstand nutzt den vom Aufsichtsrat gesetzten Rahmen, um bestenfalls gemeinsam den – nach wie vor zumeist kurzfristig orientierten – Interessen der Kapitalgeber nachzukommen) wird auch knapp zwei Jahrzehnte nach Einführung des KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, KonTraG, vom 1. Mai 1998) zwar die Transparenz formal erhöht, aber eine intrinsisch motivierte und gelebte „gute“ Nachhaltigkeit ist damit nicht notwendigerweise verbunden. Dies zeigt sich beispielsweise  auch in einer Untersuchung des Instituts für Compliance und Corporate Governance, bei der die DAX 30-Unternehmen erhebliche Verbesserungspotenziale vorrangig bei der „gelebten“ Compliance-Kultur aufweisen (Veröffentlichungen in Vorbereitung).

Dass es auch anders geht, zeigt – um im obigem Beispiel zu bleiben – der viertgrößte Zementhersteller Cemex, der – mexikanischen Ursprungs – aus naheliegenden Gründen den von der US Administration geplanten Mauerbau zu Mexiko eine klare Absage erteilt hat.

Als Verantwortliche, sei es als Investor, Aufsichtsrat oder operativer Manager, sollten wir uns nicht nur auf formales Regelwerk zurückziehen. „Archäologische“ Ausgrabungen in der Wirtschaftsgeschichte können uns einen Weg zur „guten“ Nachhaltigkeit weisen wie beispielsweise  eine Wirtschaftsethik à la Max Weber und die Grundsätze des „ehrbaren Kaufmanns“.