Dorette Segschneider

Geschäftsführerin nemecnetwork GmbH

Dorette Segschneider ist seit über 20 Jahren als Strategin für Emotionale Intelligenz für das gehobene Management und Topmanagement beratend tätig. Parallel dazu hat die Dipl.-Betriebswirtin bis 2010 eine Wirtschaftssendung im deutschen Fernsehen moderiert und mitverantwortet. Ihre Coaching-Expertise liegt vor allem im Bereich des ganzheitlichen Individual Coaching auf Basis des von ihr entwickelten Executive Neuro Coachings. Neben der Beratungstätigkeit ist Frau Segschneider Ombudsfrau für Compliance-Sachverhalte, Lehrbeauftragte für Kommunikation und soziale Interaktion an der Hochschule Mainz für Wirtschaftswissenschaften sowie als Fachautorin (u.a. Co-Autorin “Balanceakt Compliance. Recht und Gesetz sind nicht genug”) tätig.


Die Compliance-Messlatte im Mittelstand

Es gibt sie – zweifelsohne – die Musterschüler im Mittelstand – bei denen das Thema Compliance angekommen ist. Insgesamt zeigt sich in (meiner) der Praxis aber ein differenziertes Bild:  Noch viel zu oft begegnet mir im Alltag der Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Eine gefährliche Aussage. Die Verantwortlichen – oft sind es die Eigentümer der Unternehmen selbst – fühlen sich auch heute noch erstaunlich sicher in ihren über Jahrzehnte hinweg gelebten Mustern. Spricht man das Thema Compliance in diesen Unternehmen konkret an oder äußert gar mögliche Bedenken – reagieren viele von ihnen mit Unverständnis. ‚Unternehmerische Freiheit‘ ist der Deckname für längst überholte Geschäftsgebaren. Konsequenzen? Der Blick für die möglichen Konsequenzen wie Ordnungsgelder, Kartellstrafen etc. – die langfristig größten Schaden anrichten können – fehlt. Was in erster Linie aber fehlt, ist das Bewusstsein über das eigene Verhalten.

Die Macht des Unterbewusstseins

Hier setzt Compliance Coaching an. Wir wissen, dass der Mensch zu 95% vom Unterbewusstsein gesteuert wird. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass gerade Mal 5% der Entscheidungen/Handlungen bewusst getroffen werden. Ein ‚das haben wir schon immer so gemacht‘ weist darauf hin, dass die Handlung vom Unterbewusstsein gesteuert ist. Für die Führungsebene, den Unternehmer heißt das, lange gelebte Muster über das Training der Selbstwahrnehmung ins Bewusstsein holen. Selbstwahrnehmung ist die Basis der Emotionalen Intelligenz – dem Leadership-Erfolgsfaktor schlechthin. Über das Training der Selbstwahrnehmung wird die persönliche Compliance Messlatte bewusst. Das ist die Messlatte, mit der jeder Mensch ganz individuell seine persönliche Compliancegrenze lebt. Für den einen ist die Mitnahme von drei Blättern Druckerpapier aus der Firma schon die rote Grenze – für den anderen ist es der Deal – die Gründung einer Scheinfirma für den Steuervorteil – mit dem entfernten Cousin. Jeder misst hier mit seinem ganz persönlichen Maß – seiner persönlichen Compliance-Messlatte eben. Das Faszinierende ist – kaum einer Führungskraft ist diese Messlatte überhaupt bewusst.

Techniken der Selbstwahrnehmung stehen im Zentrum

Dabei ist sie die Compliance-DNA eines jeden Einzelnen – also das, was es zu entdecken gilt, mit Hilfe der Selbstwahrnehmung. Denn das Allerwichtigste bleibt immer, dass der Unternehmer und seine oberste Führungsebene Compliance authentisch ‚vorleben‘. Nur wenn die Mitarbeiter spüren, dass die Messlatte niedrig liegt – also das Verhalten ethisch und compliant ist – sind Instrumente und Strukturen auf Dauer erfolgversprechend. Das Compliance Coaching vermittelt Unternehmern und Führungskräften Techniken, die die Selbstwahrnehmung in den Alltag integrieren. Denn nur so gelingt es die Prozesse, die unterbewusst ablaufen, nachhaltig an die Oberfläche zu holen = eingefahrene Muster zu erkennen. Eine Technik ist die Beobachterhaltung. Sie nimmt sich ganz gezielt die Gedankenmuster vor und zielt auf einen inhaltlichen Perspektivenwechsel ab. Sie führt dazu, dass wir nachhaltig lernen, unbewusste Denkprozesse bewusst zu machen, um so – neben dem Perspektivenwechsel (z.B. mit dem Ziel die Compliance-Messlatte niedriger anzusetzen) auch in schwierigen Situationen Wahlmöglichkeiten (handele ich nach meinem alten Muster oder nicht) besser erkennen und nutzen zu können. Das Compliance-Coaching agiert dabei immer im Tandem mit dem Blick durch die juristische Brille. Denn entscheidend ist neben der Bewusstmachung der Prozesse, vor allem auch die rechtlichen Voraussetzungen und „red flags“ im Blick zu haben.

 

 


“State-Control“ und die Compliance-Krise 

Auch wenn Wachstum und Profit entscheidende Leitlinien für das täglich unternehmerische Handeln bleiben – das Denken in größeren Zusammenhängen wird immer wichtiger. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Unternehmen ist gelebte Corporate Compliance. Im Unterschied zu nur auf dem Papier vorhandenen Compliance-Richtlinien bezieht sie den menschlichen Faktor als handelnde Person mit ein. Denn allein die Beachtung von Standards und Normen, verbunden mit der doch häufig trügerischen Sicherheit von Zertifizierungen, die im Zusammenhang mit Compliance Management durchgeführt werden können, reichen nicht aus. Corporate Compliance muss top-down vorgelebt werden auf Basis der Werte und des Verhaltens der Führungsmannschaft.

Um Compliance wirksam in Unternehmen zu verankern, ist es erforderlich, zu verstehen, wie Menschen in komplexen Arbeitsumfeldern, schwierigen Entscheidungssituationen oder Krisen funktionieren und wie sie gezielt daran arbeiten können, diese Herausforderungen trotz Druck zu meistern. Der Schlüssel dazu liegt im persönlichen“State-Control“. Unter „state“ versteht man die Summe aller neurologischen undemotionalen Prozesse, die zu irgendeiner Zeit in einem Menschen entstehen. „State-Control“ ist die Fähigkeit unseres Gehirns, Emotionen im Alltag zu managen und Teil jeder Entscheidung, die wir treffen. Bewusst oder unbewusst. Menschen, die über eine gute Fähigkeit ihren „state“ zu kontrollieren verfügen, reagieren in Krisensituationen entspannter und treffen bessere Entscheidungen.

Dafür ist im Gehirn der Präfrontale Cortex (PFC) verantwortlich. Er gilt als unser Emotions- oder state-Manager. Er sorgt dafür, dass wir agieren und nicht nur reagieren. In kritischen Situation – also z.B. in einer Compliance-Krise – lenkt der PFC die innere Stimme, die beschwichtigt oder versucht zu bewältigen: „Das wird schon gut gehen…das merkt schon keiner…das schaffe ich schon.“ Doch der PFC hat nur eine begrenzte Kapazität – vergleichbar mit einem Akku. Je höher der Druck wird, desto schneller verbraucht sich die Fähigkeit zu agieren – wir reagieren häufig nur noch. Überlegte, integre und moralisch einwandfreie Entscheidungen sind unter Druck kaum mehr möglich. Angstreaktionen bestimmen das Verhalten.

Dank der Neurowissenschaften wissen wir aber nicht nur, wie unser Gehirn in Krisensituationen tickt, sie haben auch ein Verständnis dafür geschaffen, wie durch gezielte non-kognitive Techniken optimiert werden kann. Der Schlüssel dazu liegt in der Neuroplastizität des Gehirns und der regelmäßigen Integration von non-kognitiven Techniken in den Alltag. So wird ein gutes State-Controlling gerade in Compliance-Krisen zum nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.