Dr. Irina Kummert
Präsidentin des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft

Compliance ist nicht zu verwechseln mit Moral

Die Forderung nach der Einhaltung von Compliance-Regeln wird nicht selten verbunden mit der Forderung nach „mehr Moral“ in den Unternehmen. Das halte ich für gefährlich. Nicht erst seit Beginn der Finanzmarktkrise ist Compliance in aller Munde, wenn es darum geht, möglichen Risiken vorzubeugen, die sich im Zuge unternehmerischen Handelns ergeben können. Sinn und Zweck von Compliance ist es also, zu vermeiden, dass ein Unternehmen sowie dessen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Schaden nehmen. Denselben Zweck würden wir Ethik und Moral zuweisen: Sie sind dazu da, Schaden von den Menschen und der Gesellschaft abzuwenden.

Compliance allerdings basiert auf objektiven und verbindlichen Regeln, an die sich alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – unabhängig von Funktion und Hierarchieebene – zu halten haben. Gerade diese Klarheit gibt Orientierung. Moral ist demgegenüber zutiefst subjektiv: Die individuelle Auffassung von Fairness und Gerechtigkeit beispielsweise hängt ab von persönlichen Erfahrungen und Kränkungen. Werfen wir die Einhaltung von Compliance-Regeln in einen Topf mit der Forderung nach „mehr Moral“ in den Unternehmen, setzen wir die Compliance der Gefahr aus, nach individuellem Dafürhalten ausgelegt zu werden. So falsch es ist, das Hinterziehen von Steuern zu einer Frage der Moral zu machen, statt es als justitiablen Straftatbestand zu sehen, so falsch ist es, die Klarheit von Compliance-Regeln dem diffusen Feld der Moral zu überlassen.